Rechnen mit Frau Baerbock

Gestern zur besten Sendezeit der Auftakt zum Format „Wahlarena“ im Ersten.

Im Schweinsgalopp stellen Bürger den Kandidaten Fragen … und diese dürfen dann gehetzt antworten. Nachfragen auch bei komplexen Themen (welches Thema ist wirklich einfach zu beantworten?!) nicht wirklich möglich.

Gestern kam also Annalena Baerbock die zweifelhafte Ehre zuteil, als erste Kanzlerkandidatin loszulegen. Laschet und Scholz werden heute und morgen folgen.

In besagter Runde gab es zwei Nachfragen bzgl. der Energiewende. Ein Chirurg im Ruhestand hatte die Frage an Frau Baerbock, wie Sie angesichts Atomausstieg und Ausstieg aus der Kohle bis 2030 und einem stark erhöhten Bedarf durch das Pushen der E-Mobilität, in Zukunft die Grundlast im deutschen Netz gewährleisten kann. Wortwörtlich hatte er nach der „Dunkelflaute“ gefragt – da diese aber die Achillesverse für die Erneuerbaren im Kontext der Grundlast ist, darf davon ausgegangen werden, daß er mit seiner Frage auf die Grundlast abzielte (die im Kontext Dunkelflaute, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht ausreichend weht, mit Photovoltaik und Windkraftanlagen nicht garantiert werden kann).

Grundlast bezeichnet die Belastung eines Stromnetzes, die während eines Tages nicht unterschritten wird.[1] Die jeweilige Grundlast ist daher abhängig vom Tag der Betrachtung (jahreszeitliche Schwankungen) sowie von der räumlichen Betrachtung (z. B. Versorgungsgebiet eines Netzbetreibers oder ganz Deutschland). In Deutschland liegt sie an einzelnen Tagen bei bis zu 40 Gigawatt (2005)[2] im Gegensatz zur Jahreshöchstlast mit 75 bis 80 Gigawatt[3].

https://de.wikipedia.org/wiki/Grundlast

Notwendigerweise musste Frau Baerbock etwas ausholen – daher konzentrieren uns auf die essentiellen Teile Ihrer Antwort:

Sinngemäß antwortete Sie, daß durch Kombination der verschiedenen Erneuerbaren Energien, die Grundlast gewährleistet werden könne … Wasserstoff wurde erwähnt (aber nur im Kontext des Ersetzens von Koks in der Stahlproduktion was im Kontext Grundlast völlig irrelevant ist – und derzeit gibt es keine skalierbare Lösung Wasserstoff als Energiespeicher zu nutzen) und später fügte Sie hinzu, daß vor allem die Biomasse als Garant für die Grundlast geeignet wäre.

Nun – da wird es Zeit ein paar Zahlen zu nennen. Die im Jahr 2020 installierte Nennleistung von Biomasse in Deutschland betrug 9,3 GW. Jetzt gehen wir mal davon aus, dass Frau Baerbock in der Aufregung die Wasserkraft vergessen hat. Die ist neben der Biomasse tatsächlich die einzige erneuerbare Energiequelle, die verlässlich die Grundlast gewährleisten kann. Im Jahr 2020 war das eine Nennleistung von 5,6 GW. Macht zusammen knapp 15 GW Nennleistung die als Grundlast derzeit sicher gewährleistet werden kann. Geht man vom besten Fall aus – also einem Bedarf von 40 GW (seit 2005 liegen wir immer drüber) fehlen also rein rechnerisch noch 25 GW an Nennleistung die durch Wasserkraft oder Biomasse oder andere Speichermöglichkeiten gewährleistet werden muss – damit in unserem besten Fall verlässlich Strom fließen kann (ansonsten gehen bei einer Dunkelflaute sprichwörtlich die Lichter aus, wenn nicht das Ausland mit Lieferungen hilft).

Nachdem Wasserkraft in Deutschland kaum zugebaut werden kann – müsste also der Fokus auf alternativen Speichern und Biomasse liegen. Aber wie viele Biogasanlagen benötigt man um 25 GW Nennleistung vorzuhalten? Nun die Nennleistung einer einzelnen Biogasanlage lag 2020 im Schnitt bei etwa 500 KW – das entspräche dann tatsächlich 50.000 weiteren Biogasanlagen die benötigt werden. Derzeit haben wir etwa 9.400 Anlagen im Land.

50.000 zusätzliche Biogasanlagen müssen gefüttert werden – Stichwort Energy Crops. Sprich da müsste man sich Gedanken machen wo diese Biomasse angebaut werden soll – und was dadurch verdrängt werden würde und was der Preis an Artenvielfalt wäre. Und dann gibt es eine Entwicklung die der These von Annalena Baerbock widerspricht: Der Trend zu mehr Biogasnalagen war 2020 rückläufig. Es wurde zurückgebaut …!

Tatsächlich ist Biomasse als der Garant für die Grundlast keine seriöse Option – weil die Anbauflächen schlicht nicht gegeben sind und der ökologische Preis gerade von den Grünen nicht vertreten werden kann. Daher bleibt die Frage offen: Wie decken wir den Bedarf unserer Grundlast?

Die einzige gute Nachricht für Annalena Baerbock und die Grünen ist, daß die anderen Parteien auch keine schlüssige Antwort parat haben. Nachdem die Energiewende und der Ausstieg aus der Kohle – überhaupt das übergeordnete Thema Klimawandel, das Kernstück grüner Politik der nächsten Jahre sein soll, wäre es vielleicht mal an der Zeit den Bleistift zu spitzen und das rechnen zu beginnen! Auch wenn oben genannte Berechnungen stark vereinfachend sind und im Kontext der Erneuerbaren immer eine Mischkalkulation realitätsnäher wäre … das Grundproblem löst sich damit nicht.

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